7. Niereninsuffizienz

7.1 Empagliflozin (Jardiance®)

7.1.1    Indikation

Jardiance® ist seit Juli 2023 zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit chronischer Niereninsuffizienz.


7.1.2    Evidenz

In EMPA- KIDNEY, einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie wurde die Wirkung von Empagliflozin auf die Progression einer Niereninsuffizienz und das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko untersucht. 

An der Studie nahmen 6609 Menschen mit und ohne Diabetes bzw. einer Albuminurie sowie einer Vielzahl zu Grunde liegender Ursachen der CKD teil (diabetische und hypertensive Nephropathie sowie Glomerulonephritiden oder IgA-Nephropathie). Zusätzlich zum Behandlungsstandard erhielten die Studienteilnehmer entweder 10 mg Empagliflozin oder Placebo. Der primäre Kombinationsendpunkt bestand aus einer anhaltenden Verringerung der eGFR um wenigstens 40% oder auf unter 10 ml/min/1,73 m2, dem Eintreten einer terminalen Niereninsuffizienz (definiert als chronische Dialyse oder Nierentransplantation) oder renal bzw. kardiovaskulär bedingtem Tod. Sekundäre Endpunkte waren kardiovaskuläre Mortalität, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder jedweder Ursache und Gesamtmortalität. Auf Basis einer Zwischenauswertung wurde die Studie vorzeitig beendet. Primäre Endpunktereignisse erreichten 13,1% der Verumgruppe gegenüber 16,9% der Kontrollgruppe (ARR 3,8%, HR 0,72, CI 0,59- 0,89, p< 0,001, NNT/ Jahr 48). Signifikant weniger erreichten unter Empagliflozin den Surrogatendpunkt Abnahme der eGFR um wenigstens 40% (10,9% versus 14,3%), den Rückgang der eGFR auf unter 10 ml/min/ 1,73 m2 (3,5% vs. 5,1%) sowie das Stadium einer terminalen Niereninsuffizienz (3,3% vs. 4,8%). Nicht signifikant gemindert wird mit 1,8 vs. 2,1% die kardiovaskuläre und renale Mortalität. Bei den wesentlichen sekundären Endpunkten wurden Hospitalisierungen jeglicher Genese signifikant gemindert, nicht jedoch die Gesamtmortalität.


7.1.3    Sicherheitsprofil

Ketoazidose, Amputationen an den unteren Extremitäten, symptomatische Dehydrierung und Volumenmangel waren in EMPA- KIDNEY selten, traten unter Empagliflozin jedoch häufiger als unter Placebo auf. Schwere Harnwegsinfekte traten unter Empagliflozin nicht häufiger als in der Placebogruppe auf. Ebenso waren Hypoglykämien in beiden Behandlungsgruppen gleich häufig, betrafen unter Empagliflozin jedoch mehr Nichtdiabetiker als unter Placebo. 


7.1.4    Frühe Nutzenbewertung gemäß §35a SGB V

Mit Beschluss vom 01.02.2024 hat der G-BA bei der Behandlung Erwachsener mit chronischer Niereninsuffizienz mit Empagliflozin gegenüber der ZVT (Eine optimierte Standardtherapie zur Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz unter Berücksichtigung der Grunderkrankung und häufiger Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Hypertonie, Dyslipoproteinämie, Anämie, Herzinsuffizienz) keinen Zusatznutzen festgestellt. 
[https://www.g-ba.de/downloads/39-261-6452/2024-02-01_AM-RL-XII_Empagliflozin_D-960_BAnz.pdf]


7.1.5    Bundesweite Praxisbesonderheit

Bisher keine Vereinbarung zwischen GKV-SV und pU.
 

7.2 Dapagliflozin (Forxiga®)

7.2.1    Indikation 

Forxiga® ist seit August 2021 zugelassen zur Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz bei Erwachsenen.


7.2.2    Evidenz

Die Zulassung beruht auf der 2020 im New England Journal of Medicine publizierten DAPA-CKD-Studie. Zudem legte der Hersteller eine Metaanalyse vor, in die auch Daten von Teilpopulationen der Studien DAPA-HF (n= 4744) und DECLARE-TIMI 58 (n= 17160) eingeschlossen waren. Die in diesen Studien identifizierten CKD-Teilpopulationen beliefen sich auf 41% (DAPA-HF) bzw. 34% (DECLARE-TIMI 58) der jeweiligen Gesamtpopulation.

In die doppelblinde, randomisierte DAPA-CKD-Studie wurden 4304 Patienten mit einer eGFR von 25- 75 ml/min/1,73 m2) und einem Albumin-Kreatin-Quotienten (ACR) im Urin von 200- 5000 mg/g eingeschlossen. Davon hatten 96% eine arterielle Hypertonie, etwa zwei Drittel einen Typ-2-Diabetes mellitus und 40% eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung.
Alle Teilnehmer erhielten leitlinienkonform einen ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker in der maximal tolerierten Dosis und eine individuell gestaltete Standardtherapie der Nierenerkrankung und vorliegenden Komorbiditäten. Im Verhältnis 1:1 erhielten die Patienten entweder 10mg Dapagliflozin täglich oder Placebo. Der primäre Kombinationsendpunkt setzte sich zusammen aus einer anhaltenden Verringerung der eGFR um mindestens 50%, dem Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz (GFR < 15ml/min/1,73 m2, chronische Dialyse bzw. Nierentransplantation) sowie Tod aus renaler oder kardiovaskulärer Ursache. Auf Empfehlung des Data Monitoring Commitee wurde die Studie vorzeitig nach Eintreten von 509 primären Endpunktereignissen abgebrochen (laut Protokoll geplant: 681 Ereignisse). Primäre Endpunktereignisse traten mit 9,2% signifikant seltener als unter Placebo mit 14,5% auf (HR 0,61, 95% CI 0,51-0,72, p< 0,0001), NNT 19 über 2,4 Jahre. Signifikant reduziert waren die Gesamtmortalität (4,7% vs. 6,8%), mit 5,1% vs. 7,5% das Auftreten einer Niereninsuffizienz im Endstadium sowie Hospitalisierungen auf Grund von Herzinsuffizienz mit 1,7% vs. 3,3%. 
Subgruppenanalysen zeigten keine Beeinflussung dieser Effekte etwa durch Alter, Vorliegen eines Typ-2-Diabetes, der eGFR oder ACR sowie der Höhe des systolischen Blutdrucks. 
In der CKD-Teilpopulation der DAPA-HF-Studie zeigte sich nur für den Endpunkt Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz ein signifikant positiver Effekt. Für die Gesamtmortalität zeigte sich lediglich ein numerisch positiver Effekt (HR 0,85). Hingegen zeigte sich beim kombinierten Endpunkt einer Niereninsuffizienz im Endstadium ein numerisch negativer Effekt (HR1,64).
Nur 20% der vom Hersteller definierten CKD-Teilpopulation der DECLARE-TIMI 58-Studie wiesen einen eGFR- Wert < 60ml/1,73min/ m2 auf, wodurch die Übertragbarkeit der Studiendaten auf die Zielpopulation nicht gegeben war. Für Patienten mit Typ-2-Diabetes und leichter Niereninsuffizienz (GFR>= 60 ml/min/1,73 m2) wurden weder die kardiovaskuläre noch die Gesamtmortalität signifikant gesenkt.


7.2.3    Sicherheitsprofil

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse waren in der DAPA-CKD-Studie unter Verum nicht häufiger als unter Placebo. Symptome eines Volumenmangels wurden unter Dapagliflozin mit 5,6% signifikant häufiger als unter Placebo mit 3,9% dokumentiert. Genitalinfektionen wurden nicht als unerwünschte Ereignisse von speziellem Interesse eingeordnet und daher nur unvollständig erhoben.


7.2.4    Frühe Nutzenbewertung gemäß §35a SGB V

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sieht für Dapagliflozin bei chronischer Niereninsuffizienz ohne symptomatische chronische Herzinsuffizienz als Komorbidität einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, wenn beide Erkrankungen vorliegen hingegen nur einen geringen Zusatznutzen
[https://www.g-ba.de/downloads/39-261-5282/2022-02-17_AM-RL-XII_Dapagliflozin_D-713_BAnz.pdf].


7.2.5    Bundesweite Praxisbesonderheit

Die Verordnungen von Forxiga® (Wirkstoff: Dapagliflozin) sind ab dem 13.01.2023 nach § 130b Abs. 2 SGB V von der Prüfungsstelle ausschließlich im Anwendungsgebiet mit einem Zusatznutzen (chronische Niereninsuffizienz) laut G-BA Beschluss vom 17.02.2022 ab dem ersten Behandlungsfall als Praxisbesonderheit anzuerkennen
[https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/amnog_praxisbesonderheiten/13016pb20230113.pdf].
 

7.3 Wichtig: Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnung

Sowohl die DAPA-CKD- als auch die EMPA-KIDNEY-Studie wurden vorzeitig beendet, was methodisch zu einer Überschätzung untersuchter Effekte führen kann. Ebenso wird in beiden Studien die antihypertensive Begleittherapie als unzureichend bemängelt. Welcher Effekt sich bei gleich intensiver Blutdrucksenkung in Verum- sowie Placebogruppe ergeben würde, bleibt unklar. Subgruppenanalysen der EMPA-KIDNEY-Studie zeigten geringere Effekte bei Nichtdiabetikern oder bei Patienten ohne Albuminurie oder mit Mikroalbuminurie. Unter Dapagliflozin traten Symptome eines Volumenmangels signifikant gehäuft auf. Die ebenfalls in der Praxis häufig zu beobachten Genitalinfektionen wurden in der DAPA-CKD nicht gesondert erfasst. Bei zwei Patienten mit Diabetes kam es in der Placebogruppe zu Auftreten einer diabetischen Ketoazidose und bei einem Patienten zu einer Fournier-Gangrän. In der EMPA-KIDNEY-Studie traten schwerwiegende unerwünschte Wirkungen unter Empagliflozin nicht häufiger als unter Placebo auf, etwas häufiger jedoch Volumenmangel, Frakturen und Amputationen.
Zum Zeitpunkt der 2019 publizierten DEGAM- S3- Leitlinie „Versorgung von Patienten mit nicht dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis“ waren weder Dapagliflozin noch Empagliflozin zur Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz zugelassen. Eine Aktualisierung dieser Leitlinie ist für 2024 angekündigt. Die britische NICE- Leitlinie empfiehlt neben einer optimierten Standardversorgung einschließlich der höchstmöglichen Dosis eines ACEi oder ARB bei Patienten mit einer eGFR von 25- 75 ml/min/1,73m2 bei Vorliegen eines Typ- 2- Diabetes oder einer Albumin- Kreatinin- Ratio/ ACR von > 200 mg/g  die Gabe von Dapagliflozin [https://www.nice.org.uk/guidance/ng203/resources/chronic-kidney-disease-assessment-and-management-pdf-66143713055173]. Empagliflozin wird neben einer optimierten Standardtherapie und der Gabe eines ACE- Hemmers oder Angiotensinrezeptoblockers in maximal verträglicher Dosis bei einer eGFR von 20-45 ml/min/1,73m2 unabhängig von Komorbiditäten empfohlen oder bei einer eGFR von 45-90 ml/min/1,73m2 sofern ein Typ-2- Diabetes vorliegt oder ein ACR von > 200 mg/g [www.nice.org.uk/guidance/ta942].
Die 2024 publizierte KDIGO- Leitlinie (Kidney Disease Improving Global Outcomes) gibt bezüglich des Einsatzes von SGLT-2-Hemmern differenzierte Empfehlungen. Mit hohem Empfehlungsgrad (1A) werden bei Patienten mit CKD (eGFR = 20 ml/min/1,73 m2) und Typ-2- Diabetes oder Herzinsuffizienz SGLT-2-Hemmer unabhängig vom Vorliegen einer Albuminurie empfohlen. Ebenso wird mit einer 1A- Empfehlung der Einsatz von SGLT-2-Inhibitoren bei Patienten mit einer CKD (eGFR = 20ml/min/1,73m2) und einer Albuminurie = 200mg/g angeraten. Mit moderatem Empfehlungsgrad werden SGLT-2-Inhibitoren bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz und einer Albuminurie < 200 mg/g bei einer geschätzten GFR von 20-45 ml/min/1,73m2 empfohlen [https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline.pdf].
Bitte beachten Sie den vorrangigen Einsatz von verfügbaren Generika und bestehende Rabattverträge. Dapagliflozin (Forxiga®) ist seit dem 13.01.2023 nach § 130b Abs. 2 SGB V von der Prüfungsstelle im Anwendungsgebiet Chronische Niereninsuffizienz mit einem Zusatznutzen als Praxisbesonderheit anzuerkennen.