1. Einführung
1.1 Definition
Parenterale Ernährung wird nicht nur stationär, sondern auch im ambulanten Bereich durchgeführt. Die ambulante parenterale Ernährung, die meist als heimparenterale Ernährung (HPE) bezeichnet wird (analog zu home parenteral nutrition), ist eine medizinische Ernährungstherapie, die Patienten erhalten, die nicht (mehr) in Krankenhäusern behandelt werden. Ihnen werden dabei Makronährstoffe wie Aminosäuren, Glukose und Lipide sowie Mikronährstoffe wie Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente intravenös verabreicht. Die HPE wird als totale parenterale Ernährung (TPE) eingestuft, wenn sie die Ernährungsbedürfnisse vollständig abdeckt, oder als supplementäre parenterale Ernährung (SPE), auch als ergänzende oder komplementäre parenterale Ernährung bezeichnet, wenn sie die Ernährungsbedürfnisse nur partiell abdeckt und die Ernährung zusätzlich über den oralen (= über den Mund) oder enteralen Weg (= über eine Ernährungssonde in den Magen oder Darm) erfolgt.
1.2 Ziele und Sinnhaftigkeit der HPE
Je nach zugrunde liegender gastrointestinaler Funktion und Erkrankung können vier klinische Szenarien für die Verwendung von HPE identifiziert werden (Tabelle 1):
- HPE als primäre lebensrettende Therapie bei chronischem Darmversagen (chronic intestinal failure,
CIF) bei gutartigen Erkrankungen - HPE bei CIF aufgrund bösartiger Erkrankungen, häufig vorübergehend
- HPE im Rahmen von Palliativmaßnahmen bei unheilbaren bösartigen Erkrankungen, um die
Lebensqualität zu verbessern oder den Tod durch Unterernährung zu vermeiden - HPE zur Vorbeugung oder Behandlung von Mangelernährung bei Patienten mit funktionierendem
Darm, die andere Arten der medizinischen Ernährung ablehnen („No-CIF-Szenario“)
Tabelle 1: Kennzeichen der HPE je nach klinischem Szenario
| CIF bei benigner | CIF bei maligner | CIF in der | Kein CIF- |
Dauer | meist lang (> 6 | meist kurz (< 6 | bis Präfinalstadium | temporär oder |
Art der | SPE oder TPE, | meistens SPE mit | meistens TPE mit | meistens SPE mit normalem |
Zusam- | teilweise | vorwiegend | vorwiegend | vorwiegend |
* bei Langzeit-HPE kann am ehesten ein individuelles Compounding nach Rezeptur erforderlich sein
Abkürzungen: CIF, chronisches Darmversagen/chronic intestinal failure; HPE, heimparenterale Ernährung; SPE, supplementäre parenterale Ernährung; TPE, totale parenterale Ernährung.
1.3 Wann enteral – wann parenteral?
Die HPE ist eine invasive Maßnahme mit Risiken, die durch eine fachgerechte Durchführung allerdings erheblich minimiert werden können. HPE sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine bedarfsgerechte Ernährung auch nach gezielten Maßnahmen auf oralem oder enteralem Weg nicht oder nicht ausreichend möglich ist (Dokumentation). Beispielsweise ist eine HPE aufgrund eines eingeschränkten Zahnstatus oder zur Erleichterung der Pflege (z. B. aufgrund pflegerischer Engpässe) nach Leitlinien nicht indiziert (siehe auch Kapitel 2 „Indikationen und Kontraindikationen“).
Gründe für die Bevorzugung von enteraler (und oraler) Ernährung gegenüber parenteraler Ernährung sind „die drei Ks“:
- Komplikationen: HPE ist mit deutlich mehr Komplikationen (Kathetersepsis,
metabo-lische Komplikationen, Overfeeding) assoziiert als orale oder enterale Ernährung. - Krankheiten: HPE kann mehr Folgeerkrankungen induzieren, vor allem durch Atrophie der
Darmschleimhaut, Störung der Darmbarriere und der Darmmotilität (cave: SIRS, endogene Sepsis) - Kosten: HPE ist deutlich teurer als enterale (oder orale) Ernährung.