2. Diagnostik und Indikationsstellung zur Pharmakotherapie
2.1 Diagnose und Differentialdiagnose
Voraussetzung der Indikationsstellung zur spezifischen Therapie einer Demenz ist der Ausschluss und ggf. die Therapie krankhafter Zustände, die ebenfalls zu einer dementiellen Symptomatik führen können wie z.B. entzündliche oder tumoröse Hirnerkrankungen, ein Normaldruckhydrozephalus oder eine Hirnblutung sowie internistische Erkrankungen wie Hypothyreose, Diabetes mellitus, Vitamin B12-Mangel, Niereninsuffizienz, Herzerkrankungen, Hypertonie etc. Wesentlich ist auch der Ausschluss potenziell reversibler Ursachen einer kognitiven Störung oder Demenz. Hierzu zählen psychische und neurologische Erkrankungen, aber auch Erkrankungen anderer Organsysteme, Effekte von Substanzkonsum oder Medikamentennebenwirkungen.
Mit bildgebenden Verfahren (cCT oder bevorzugt cMRT) können potentiell reversible, behandelbare Ursachen für eine Demenz wie subdurales Hämatom, Tumor oder Normaldruckhydroenzephalus erkannt werden.
Um Erkrankungen auszuschließen, die mit einer vergleichbaren Symptomatik einhergehen können, sollten Personen mit Demenzverdacht im hausärztlichen Versorgungsumfeld eine Blutuntersuchung einschließlich der Bestimmung von Elektrolyten (Na, K, Ca), Blutzucker, Nierenfunktionswerten (Kreatinin, Harnstoff) und Leberfunktionswerten (GOT, Gamma-GT) erhalten. Darüber hinaus werden die Schilddrüsenfunktionswerte (TSH), chronische Entzündungen (CRP) und der Vitamin B12-Spiegel bestimmt. Routinemäßig ist zudem bei Risikopatienten ein EKG zu erstellen, um bspw. Arrhythmien als Risikofaktoren für einen Schlaganfall auszuschließen.
Bei dem Verdacht einer Demenz ist insbesondere bei unter 65-Jährigen eine weitergehende Diagnostik ggf. mit einer Liquordiagnostik angezeigt. Diese dient ebenfalls der Erkennung möglicher nicht primärer Demenzerkrankungen als Ursache einer kognitiven Störung (z. B. entzündliche Gehirnerkrankungen) und auch der Bestätigung der Alzheimer-Krankheit.
Von zahlreichen Arzneimittelgruppen ist bekannt, dass sie die Demenzsymptomatik verschlimmern können. Daher ist bei Personen mit dementieller Symptomatik ein ausführlicher Medikationscheck durchzuführen. Zu diesen Arzneimittelgruppen zählen beispielsweise: Antidepressiva mit anticholinerger Wirkkomponente (wie z.B. Amitriptylin), Antiemetika oder Sedativa wie Dimenhydrinat oder Diphenhydramin, Spasmolytika wie Oxybutynin, Trospium, Butylscopolamin, Parkinsonmittel wie Biperiden, Metixen und Trihexyphenidyl, anticholinerg wirkende Antipsychotika wie Fluspirilen etc. In Pflegeheimen kommen bei dementiell erkrankten Pflegeheimbewohnenden häufig risikoreiche Substanzen wie Antipsychotika zum Einsatz. Ziel sollte eine möglichst niedrige Verordnungsquote von Antipsychotika bei Demenzerkrankten sein. Laut Qualitätsatlas Pflege weist Baden-Württemberg im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die höchste Verordnungsquote an Antipsychotika in Pflegeheimen bei Demenz-Erkrankten auf.
Weitere Informationen zu potenziell ungeeigneten Arzneimitteln für ältere Menschen sind auch der Priscus-Liste 2.0 zu entnehmen (https://www.priscus2-0.de/fileadmin/media/PRISCUS_2/PRISCUS%202_Liste_Anhang_in_DE_nicht_verfuegbare.pdf). Arzneimittel mit anticholinerger Wirkkomponente sollten möglichst durch andere Arzneistoffe ersetzt werden oder – wenn dies nicht möglich ist – in ihrer Dosierung angepasst werden.
Auch der langjährige Gebrauch von Benzodiazepinen scheint das Risiko für eine Demenz zu erhöhen. Erste Maßnahme bei Feststellung dementieller Symptome sollte daher eine ausschleichende Absetzbehandlung benzodiazepinhaltiger Arzneimittel sein. Dies umso mehr, da Benzodiazepine und ihre Abkömmlinge insbesondere bei älteren Menschen auch andere relevante unerwünschte Wirkungen haben können – so ist mit der Einnahme ein erhöhtes Risiko für Stürze assoziiert.
Bei Drogen- und Alkoholmissbrauch müssen geeignete Maßnahmen eingeleitet werden.
Die antidementive Behandlung einer vaskulären Demenz ist nur sinnvoll im Rahmen einer qualifizierten Therapie der Grunderkrankungen wie Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie oder Diabetes mellitus.
2.2 Indikationsstellung zur Arzneimitteltherapie
Eine zeitgerechte Diagnose ist Grundlage der Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz. Dabei ist eine zeitgerechte Diagnose nicht grundsätzlich, aber häufig eine Diagnose im frühen Krankheitsstadium. Eine Behandlungsindikation besteht grundsätzlich nach bestätigter Diagnosestellung nach ICD10. Grundlage ist eine eingehende ärztliche Untersuchung des internistischen und neuropsychologischen Erscheinungsbildes.
Zur Diagnosesicherung und vor der Verordnung von Antidementiva zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind psychometrische Leistungstests durchzuführen. Als psychometrisches Instrument zur Basisdiagnose einer Demenzerkrankung kann z.B. der Mini-Mental-State-Test (MMST) und ggf. der DemTec eingesetzt werden. Anhand der psychometrischen Testergebnisse kann eine erste Schweregradeinteilung der Demenzerkrankung erfolgen:
- MMST 20 bis 26 Punkte: leichte Demenz
- MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwere Demenz
- MMST weniger als 10 Punkte: schwere Demenz
Wenn die Diagnose bzw. die Differenzialdiagnose der Demenz unsicher bleibt oder unklar ist, ob neben der Demenz auch eine (starke) Depression besteht, bzw. das Krankheitsgeschehen ungewöhnlich schnell voranschreitet oder andere Krankheitssymptome hinzukommen, bedarf es einer fachärztlichen Einschätzung (Psychiatrie / Neurologie).