Therapie des Typ 2 Diabetes

Indikationsstellung zur medikamentösen Therapie und Wirkstoffauswahl
Nicht medikamentöse Therapien wie Schulung und Training des Patienten, Ernährungstherapie, Steigerung der körperlichen Aktivität sowie das Nichtrauchen zählen als Basistherapie zu jeder Therapiestufe. Erst wenn diese Maßnahmen den Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren, kommt eine medikamentöse Therapie in Betracht. Hierbei gilt das kostengünstige Metformin - aufgrund der belegten Wirksamkeit hinsichtlich Stoffwechseleinstellung und makrovaskulärer Risikoreduktion sowie des geringen Einflusses auf Gewicht und Hypoglykämierate - nach wie vor als das orale Antidiabetikum der ersten Wahl für die initiale Monotherapie des Typ-2-Diabetes.

Glitazone
Pioglitazon ist gemäß Ziffer 49 Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Eine Verordnung von Pioglitazon kommt ausnahmsweise nur in besonders zu begründenden, medizinischen Einzelfällen in Betracht.
Quelle: Ziffer 49 Anlage III AM-RL

Glinide
Glinide (Repaglinid und Nateglinid) sind gemäß Ziffer 50 Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 nur eingeschränkt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig: Repaglinid darf nur noch bei niereninsuffizienten Patienten mit einer Kreatininclearance unter 25 ml/min verordnet werden, für die andere orale Antidiabetika nicht infrage kommen und eine Insulintherapie nicht angezeigt ist. Nateglinid kann nur in gut dokumentierten und medizinisch begründeten Einzelfällen zu Lasten der GKV rezeptiert werden.
Quelle: Ziffer 50 Anlage III AM-RL 

SGLT2-Inhibitoren (Gliflozine)
Dapagliflozin und Empagliflozin wirken als SGLT2-Inhibitoren antihyperglykämisch durch Hemmung der renalen Glukosereabsorption. Sie sind zugelassen für die Monotherapie bei Unverträglichkeit / Kontraindikationen von Metformin sowie in Kombination mit anderen antihyperglykämisch wirkenden Substanzen inklusive Insulin.

Die antihyperglykämische Effektivität ist abhängig von der Nierenfunktion. Bei Nierenfunktionseinschränkung (eGFR < 60 ml/min/1,73 m²) wird der Einsatz wegen nachlassender Effektivität nicht mehr empfohlen. Des Weiteren ist die gleichzeitige Gabe von Schleifendiuretika kontraindiziert. Sicherheitsbedenken bestehen auch wegen auffällig häufiger Knochenbrüche bei Patienten mit mäßiger Niereninsuffizienz sowie potenzieller Lebertoxizität.
In den Zulassungsstudien traten unter SGLT2-Inhibitoren Karzinome der Harnblase, der Mamma und der Prostata numerisch häufiger auf.
Quelle: Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes (03/2021)

Im Juni 2015 begann ein Risikobewertungsverfahren zu diabetischen Ketoazidosen unter SGLT2-Inhibitoren. In seltenen Fällen wurden unter SGLT2-Inhibitoren schwere und manchmal lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Fälle von diabetischer Ketoazidose beobachtet, auch bei Patienten mit nur mäßig erhöhtem Blutzuckerspiegel.
Ferner wurde Anfang 2017 nach der Überprüfung des möglichen erhöhten Risikos für Amputationen der unteren Extremitäten durch die EMA die Aufnahme eines Warnhinweises in die Fachinformationen der SGLT-2-Hemmer veranlasst.
Quelle: Aktualisierte Hinweise der AkdÄ zum Risiko einer diabetischen Ketoazidose während der Behandlung mit SGLT2 Inhibitoren (03/2016); Risikobewertungsverfahren BfArM diabetische Ketoazidosen (02/2016); Atypische diabetische Ketoazidosen im Zusammenhang mit SGLT-2-Hemmern (Gliflozine) („Aus der UAW-Datenbank“), AkdÄ (09/2018); Risikobewertungsverfahren BfArM Amputationen (05/2017)

Weiterhin wurden nach Markteinführung Fälle von Fournier Gangränen (Nekrotisierende Fasziitis des Perineums) mit der Anwendung von SGLT2-Inhibitoren in Verbindung gebracht.
Quelle: Rote-Hand-Brief zu SGLT2-Inhibitoren: Risiko einer Fournier-Gangrän (nekrotisierende Fasziitis des Perineums) (01/2019)

Erkenntnisse zum Nutzen bezüglich der Wirkung auf klinische Endpunkte werden für SGLT2-Inhibitoren kontrovers diskutiert. Bezüglich der Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen für die Kombination von Empagliflozin mit Metformin bzw. mit anderen blutzuckersenkenden Mitteln (EMPA-REG OUTCOME-Studie (NEJM 2015; 373:2117-2128)) ist zu beachten, dass die Überlegenheit von Empagliflozin im primären Endpunkt (Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod) nur knapp signifikant war. Es lässt sich jedoch für die Mortalitätssenkung keine Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennen. Darüber hinaus fehlen Daten zur Langzeitsicherheit, insbesondere hinsichtlich des Effektes auf die Nierenfunktion und den Knochenstoffwechsel. Die Therapie stellt daher in der Regel nur für Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen als Zusatz zu Metformin und/oder anderen Antidiabetika eine mögliche Therapiealternative dar. Vor dem Hintergrund der nicht abschließend geklärten Nutzen-Schaden-Bilanz sollten die teuren SGLT2-Inhibitoren - insbesondere Dapagliflozin – weiterhin zurückhaltend verordnet werden.
Quelle: Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V (neue wissenschaftliche Erkenntnisse) – Dapagliflozin (01.06.2018); Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V (neue wissenschaftliche Erkenntnisse) – Empagliflozin (01.09.2016); Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 1, 01/2017, Neue Arzneimittel - Empagliflozin

GLP-1-Rezeptoragonisten (Inkretinmimetika, GLP-1-Analoga)
Die antihyperglykämische und gewichtsreduzierende Wirkung von GLP-1-Rezeptoragonisten  ist gut belegt. Langzeitdaten aus randomisierten kontrollierten Studien zu klinischen Endpunkten (diabetische Komplikationen, kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität) und Sicherheit liegen noch nicht umfassend vor. Der Einsatz kann erwogen werden, wenn mit der maximal verträglichen Dosis von oralen Antidiabetika oder auch mit einer Basalinsulintherapie keine ausreichende Plasmaglukosesenkung erreicht werden kann und zudem eine starke, durch nicht-medikamentöse Maßnahmen nicht zu beeinflussende Adipositas (BMI > 30 kg/m2) oder ein deutlicher Gewichtsanstieg (> 6 kg innerhalb von sechs Monaten) oder eine ausgeprägte Hypoglykämieneigung unter Insulingabe die Behandlung erschweren.
Inkretinmimetika stehen im Verdacht karzinogen zu wirken bzw. das Krebswachstum zu fördern. In der LEADER-Studie (NEJM 2016; 375:311-322) treten gutartige und bösartige Neoplasien unter Liraglutid insgesamt numerisch häufiger auf, Pankreaskarzinome nehmen um mehr als das Zweifache zu. Insgesamt sind die hohen Behandlungskosten und das noch nicht abschließend einzuordnende Risiko für die langfristige Entstehung von Schilddrüsenerkrankungen, C-Zellkarzinome der Schilddrüse sowie Pankreaskarzinome zu beachten.
Quelle: Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes (03/2021); KBV – Wirkstoff aktuell zu Liraglutid (01/2018)

Bezüglich der Verordnung von Exenatid ist auch der Therapiehinweis des Gemeinsame Bundesausschusses zu beachten, insbesondere die Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise. Demnach sollte der Einsatz von Exenatid Typ-2-Diabetikern vorbehalten bleiben, bei denen unter Ausschöpfung einer Therapie mit oralen Antidiabetika eine adäquate Blutzuckerkontrolle nicht erreicht werden konnte und die klinischen Befunde bei massivem Übergewicht (BMI > 30) vorrangig für eine Insulinresistenz sprechen, sodass bei Zugabe von Insulin mit einer weiteren Gewichtszunahme und hohen Insulindosierungen zu rechnen ist.
Quelle: Anlage IV AM-RL: Therapiehinweise zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von Arzneimitteln 

DPP-4-Inhibitoren
DPP-4-Inhibitoren (Sitagliptin, Saxagliptin und Vildagliptin) wirken durch eine Erhöhung des Spiegels der Inkretinhormone Glucagon-like Peptid 1 (GLP 1) und Glucosedependent insulinotropic Polypeptid (GIP). Dadurch wird die Insulinsynthese gesteigert und die Glucagonkonzentration gesenkt. DPP-4-Inhibitoren sind bei Unverträglichkeit von Metformin als Monotherapie oder in Zweifach-Kombination mit einem weiteren oralen Antidiabetikum sowie in Ergänzung zu einer bestehenden, aber unzureichenden Insulintherapie bei erwachsenen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen.

DPP-4-Inhibitoren sollten jedoch nur bei solchen Patienten eingesetzt werden, bei denen Wirkstoffe, die eine Verbesserung der Morbidität und/oder Mortalität gezeigt haben (Metformin, Sulfonylharnstoffe, Insulin, bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen auch Empagliflozin und Liraglutid), bezüglich der HbA1c-Senkung nicht ausreichen oder aufgrund von Kontraindikationen oder Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden können.

Die Anwendung von DPP-4-Inhibitoren wurde mit einem Risiko für die Entwicklung einer akuten Pankreatitis assoziiert. Für das Risiko eines Pankreaskarzinoms konnte bisher keine abschließende Beurteilung durchgeführt werden. Weiterhin wurden unter DPP-4-Inhibitoren schwerwiegende Überempfindlichkeitsreaktionen sowie Risikosignale für eine Verschlechterung der Nierenfunktion und eine erhöhte Infektanfälligkeit für beispielsweise Atemwegsinfekte, Sinusitis und Harnwegsinfekte gesehen. Bei der zugelassenen kombinierten Anwendung mit Pioglitazon ist auch die potenzielle Steigerung der kardiovaskulären Toxizität von Pioglitazon zu beachten.

Erkenntnisse zu einem patientenrelevanten Nutzen bezüglich der Wirkung auf klinische Endpunkte sind für DPP-4-Inhibitoren weiterhin nicht belegt. So hat die Zusatztherapie mit Sitagliptin über drei Jahre im Vergleich zu Plazebo bei Typ-2-Diabetikern mit vaskulären Vorerkrankungen trotz weiterer HbA1c-Senkung keinen Einfluss auf die Rate an Herzinfarkten, instabiler Angina pectoris, Schlaganfällen oder kardiovaskulären Todesfällen (TECOS-Studie (NEJM 2015; 373:232-42)). Bezüglich der Anhaltspunkte für einen geringen Zusatznutzen aufgrund der Verringerung nicht schwerer Hypoglykämien für die Kombination von Sitagliptin mit Metformin ist zu beachten, dass diese höchstwahrscheinlich auf die schnelle Dosissteigerung der Vergleichstherapie (Sulfonylharnstoff) im Kontrollarm zurückzuführen war, während die Dosierung von Sitagliptin konstant gehalten wurde. Für Saxagliptin und Vildagliptin konnte in keiner zugelassenen Indikation ein Zusatznutzen belegt werden. Vielmehr zeigten die vorgelegten Daten aus Sicht des G-BA zusätzliche Nachteile von Saxagliptin, die insbesondere auf den negativen Ergebnissen des Endpunktes „Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz“ basierten (SAVOR-TIMI-53-Studie (NEJM 2013; 369:1317-1326)).
Quelle: Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes (08/2013; zurzeit in Überprüfung); KBV – Wirkstoff aktuell zu Sitagliptin (05/2018); KBV – Wirkstoff aktuell zu Saxagliptin (06/2018); Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 2, 04/2017, Neue Arzneimittel - Sitagliptin und Saxagliptin; Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V (neue wissenschaftliche Erkenntnisse) – Sitagliptin (12/2016); Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V (neue wissenschaftliche Erkenntnisse) – Saxagliptin (12/2016)

Verordnung von Blutzuckerteststreifen
Harn- und Blutzuckerteststreifen sind nach Ziffer 52 Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die nicht mit Insulin behandelt werden, von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Ausnahmen bilden Patienten mit instabiler Stoffwechsellage. Diese kann gegeben sein bei interkurrenten Erkrankungen, Ersteinstellung auf oder Therapieumstellung bei oralen Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko. Grundsätzlich können dann je Behandlungssituation zeitlich limitiert bis zu 50 Teststreifen verordnet werden.
Quelle: Ziffer 52 Anlage III AM-RL