2. Indikationsstellung zur medikamentösen Therapie und Wirkstoffauswahl
Basis der kardiovaskulären Prävention und Behandlung von Fettstoffwechselstörungen sind geeignete Ernährungsumstellung, körperliche Aktivität und – sofern erforderlich – Einstellung des Rauchens und Blutdrucknormalisierung.
Sekundärprävention beinhaltet die stets indizierte lipidsenkende Therapie von Patienten, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten und somit ein hohes Risiko für weitere kardiovaskuläre Komplikationen aufweisen.
Bei Patienten ohne klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankungen (Primärprävention) ist eine strenge Indikationsstellung erforderlich. Unabhängig von in Leitlinien formulierten unterschiedlichen Interventionsschwellen für eine primärpräventive lipidsenkende Intervention gilt gemäß Arzneimittelrichtlinie, Anlage III eine Verordnungseinschränkung für verschreibungspflichtige Lipidsenker ausgenommen bei
- bestehender vaskulärer Erkrankung (KHK, cerebrovaskuläre Manifestation, pAVK)
- hohem kardiovaskulären Risiko (über 20% Ereignisrate/10 Jahre auf Basis der zur Verfügung stehenden Risikokalkulatoren)
- Patienten mit genetisch bestätigtem Familiärem Chylomikronämie Syndrom und einem hohen Risiko für Pankreatitis.
Für die Risikokalkulation stehen verschiedene Risikoalgorithmen zur Verfügung, z.B. arriba, PROCAM oder SCORE 2 (-OP). Grundsätzlich gilt: Je höher das kardiovaskuläre Risiko ist, desto höher ist der zu erwartende Nutzen einer primärpräventiven lipidsenkenden Intervention.
Zur medikamentösen Lipidsenkung i. R. einer Sekundärprävention stehen HMG-CoA-Reduktasehemmer (Statine), Cholesterinresorptionshemmer (Ezetimib), ACL-Hemmer (Bempedoinsäure), Fibrate, Anionenaustauscher, PCSK9-Inhibitoren, und Inclisiran zur Verfügung. Der seit 01.09.2023 zur Behandlung der homozygoten familiären Hypercholesterinämie zur Verfügung stehende ANGPTL3- Inhibitor Evinacumab hat das Verfahren der Frühen Nutzenbewertung noch nicht durchlaufen, da der Hersteller eine Indikationserweiterung anstrebt.
2.1 Statine
Mit der initialen Statindosis wird bereits ein Großteil des insgesamt zu erwartenden therapeutischen Effektes erreicht. Für jede weitere Erhöhung der Statindosis sind geringere absolute Risikoreduktionen zu erwarten. Daher ist die Indikation für eine hohe Statindosierung kritisch zu stellen und lediglich für Patienten mit besonders hohem kardiovaskulärem Risiko gegeben. So reduziert in der Sekundärprävention eine Hochdosistherapie mit Statinen gegenüber einer niedrig- bzw. moderat dosierten Statineinnahme die Häufigkeit nichttödlicher Myokardinfarkte um 1% (NNT 100 bei 5 Jahren Behandlungsdauer), nicht jedoch die Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität.
Zu bedenken sind das erhöhte Risiko für das Neuauftreten eines Diabetes mellitus Typ 2, Leberfunktionsstörungen und muskuläre Beschwerden.
Tab.1: Übersicht Statindosierungen und Ausmaß der erzielbaren relativen LDL- Reduktion
Eine häufige Ursache für ein vorzeitiges Absetzen und eine geringe Therapieadhärenz und einer daraus resultierenden eingeschränkten Prävention kardiovaskulärer Komplikationen ist die sog. Statinintoleranz (SI). Am häufigsten sind statinassoziierte muskuläre Schmerzen (SAMS). Sind andere Ursachen (z.B. Polymyalgia rheumatica), Wechselwirkungen (z.B. Makrolidantibiotika) sowie möglicher Noceboeffekte ausgeschlossen soll zunächst durch Reduzierung der Dosis oder Umsetzung auf ein anderes Statinpräparat die Weiterführung der Behandlung versucht werden. Bei einer Erhöhung des CK- Wertes auf > als das 5- fache des oberen Normalwertes soll laut FI die Statinbehandlung pausiert werden.
Vor einer Fortsetzung der Statintherapie soll eine Abschätzung des Nutzen- Risiko- Verhältnisses gemeinsam mit der Patientin/ dem Patienten erfolgen.
2.2 Ezetimib
In der 2015 publizierten Studie IMPROVE-IT wurde untersucht ob Patientinnen und Patienten mit einem maximal 10 Tage zurückliegenden akuten Koronarsyndrom (ACS) von einer zusätzlichen Gabe von 10 mg des Cholesterinresorptionshemmer Ezitimib zu einer Basistherapie mit 40 mg Simvastatin profitieren. Als einzige Endpunktkomponente wurde die Rate nicht-tödlicher Myokardinfarkte gesenkt. Dieser Effekt war mit einer absoluten Risikoreduktion von 1,6% gering. Daraus errechnet sich, dass 63 Patienten sieben Jahre zusätzlich mit Ezetimib behandelt werden müssen, um einen nichttödlichen Myokardinfarkt zu verhindern. Subgruppenanalysen zeigten, dass lediglich Patienten im Alter von 75 oder mehr Jahren sowie Patientinnen und Patienten mit Diabetes von der zusätzlichen Ezetimibtherapie profitierten. Eine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität und Gesamtmortalität wurde für Ezetimib bislang nicht nachgewiesen. Zum Nutzen von Ezetimib bei Monotherapie bzw. bei zusätzlicher Gabe zu einer Statinhochdosis fehlen aussagefähige Daten.
2.3 Bempedoinsäure
Der ATP- Citrat- Lyase (ACL) Inhibitor Bempedoinsäure ist seit 2020 als Monosubstanz und seit 2021 als Fixkombination mit Ezetimib adjuvant zu einer Diät für Erwachsene mit primärer Hypercholesterinämie zugelassen. Die Zulassung umfasst Statinintoleranz oder die Eskalation einer bestehenden Statin-Therapie.
Bei gleichzeitiger Anwendung mit Simvastatin ist deren Dosis auf maximal 40mg/ Tag zu begrenzen.
In der randomisierten, doppelblinden Studie CLEAR- Outcomes wurde bei fast 14 000 Teilnehmern mit hohem kardiovaskulären Risiko oder manifester kardiovaskulärer Vorerkrankung untersucht, in welchem Ausmaß Bempedoinsäure kardiovaskuläre Ereignisse verhindert, wenn Statine nicht oder nur in sehr niedriger Dosis eingenommen wurden. Wesentliche Ergebnisse sind in der Tab. 2 dargestellt.
Tab 2: Ausgewählte Ergebnisse CLEAR Outcomes Studie
Das Auftreten von Myokardinfarkten wurde durch Bempedoinsäure signifikant gesenkt. Bei einer ARR von 1,1% müssen 91 Patienten insgesamt 3,4 Jahre behandelt werden, um einen Herzinfarkt zu verhindern. Der zusammengesetzte Endpunkt Kardiovaskuläre Ereignisse wurde ebenfalls signifikant reduziert (ARR 1,6%). Nicht beeinflusst wurden tödliche und nichttödliche Schlaganfälle sowie die Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität.
Nebenwirkungen unter Bempedoinsäure (vs. Placebo) in der CLEAR Outcomes Studie waren ein erhöhtes Risiko für Gicht (3,1% vs. 2,1%), Cholelithiasis (2,2% vs.1,2%) und renale Ereignisse (11,5% vs. 8,6%).
Es lässt sich aktuell auch mit den Ergebnissen der CLEAR Outcomes Studie nicht beurteilen, ob eine Kombination von Bempedoinsäure mit moderat- oder hochdosierter Statintherapie oder zusätzlich zu Ezetimib kardiovaskuläre Komplikationen verhindert.
Bempedoinsäure ist zugelassen bei Statinintoleranz. Die Diagnose einer Statinintoleranz setzt voraus, dass mindestens zwei verschiedene Statine auch in niedriger Dosierung nicht vertragen wurden (nach AkdÄ).
Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach § 35 SGB V wurde vom GBA weder für Bempedoinsäure noch für die Fixkombination mit Ezetemib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie das Vorliegen eines Zusatznutzens beschlossen [https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4785/2021-04-15_AM-RL-XII_Bempedoins%C3%A4ure_D-601_BAnz.pdf
https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4786/2021-04-15_AM-RL-XII_Bempedoins%C3%A4ure-Ezetimib_D-602_BAnz.pdf].
2.4 PCSK9-Inhibitoren Evolocumab / Alirocumab und Inclisiran
Im Rahmen der Frühen Nutzenbewertung durch den G-BA konnte für keinen der PCSK9-Inhibitoren oder Inclisiran ein Zusatznutzen in Bezug auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität nachgewiesen werden.
Der G-BA hat daher die Verordnung von PCSK9-Inhibitoren sowie Inclisiran zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung laut Anlage III, Arzneimittel-Richtlinie eingeschränkt:
So sind diese Wirkstoffe nicht verordnungsfähig
- solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu einer Therapie mit anderen Lipidsenkern (Statine, Anionenaustauscher, Cholesterinresorptionshemmer, ACL-Hemmer) verbunden sind.
- Das angestrebte Behandlungsziel bei der Behandlung der Hypercholesterinämie oder gemischten Dyslipidämie mit anderen Lipidsenkern ebenso zweckmäßig, aber kostengünstiger zu erreichen ist.
- Für die Bestimmung der Mehrkosten sind die der zuständigen Krankenkasse tatsächlich entstehenden Kosten maßgeblich.
Dies gilt nicht für Patienten
- mit heterozygot familiärer oder nichtfamiliärer Hypercholesterinämie oder gemischter Dyslipidämie bei therapierefraktären Verläufen, bei denen grundsätzlich trotz einer über einen Zeitraum von 12 Monaten dokumentierten maximalen diätetischen und medikamentösen lipidsenkenden Therapie (Statine und/oder andere Lipidsenker bei Statin-Kontraindikation) der LDL-C-Wert nicht ausreichend gesenkt werden kann und daher davon ausgegangen wird, dass die Indikation zur Durchführung einer LDL-Apherese besteht. Es kommen nur Patienten mit gesicherter vaskulärer Erkrankung (KHK, cerebrovaskuläre Manifestation, pAVK) sowie regelhaft weiteren Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse (z. B. Diabetes mellitus, Nierenfunktion GFR unter 60 ml/min) infrage sowie Patienten mit gesicherter familiärer heterozygoter Hypercholesterinämie unter Berücksichtigung des Gesamtrisikos familiärer Belastung.
- Für Evolocumab zusätzlich nicht für Patienten mit familiärer, homozygoter Hypercholesterinämie, bei denen medikamentöse und diätetische Optionen zur Lipidsenkung ausgeschöpft worden sind
In Bezug auf die Wirtschaftlichkeit einer lipidsenkenden Therapie ist festzuhalten, dass Bempedoinsäure nach Statinen und Ezetimib in Frage kommen kann und vorrangig gegenüber den deutlich teureren PCSK9-Hemmern bzw. Inclisiran oder Evinacumab in Erwägung zu ziehen ist.
Die Einleitung und Überwachung der Therapie mit Evolocumab, Alirocumab und Inclisiran muss durch Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie, Fachärzte für Innere Medizin und Nephrologie, Fachärzte für Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie, Fachärzte für Innere Medizin und Angiologie, oder durch an Ambulanzen für Lipidstoffwechselstörungen tätige Fachärzte erfolgen. Bei Evolocumab zusätzlich durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit Zusatz-Weiterbildung Kinder-Endokrinologie und - Diabetologie, Kinder-Nephrologie oder Schwerpunkt Kinderkardiologie.